11
Sep
2014

KARL OVE

Es geht das Gerücht, ein Schwede habe Feuer in der Abteilung K (wie Knausgaard) einer Buchhandlung in Malmö gelegt, mit der Begründung, Karl Ove Knausgaard sei der schlechteste Schriftsteller der Welt.

Leidenschaftliche Leser anderer Art wie die englische Autorin Zadie Smith aber seien der Lektüre seiner Bücher verfallen wie einer Droge.

In seinem 5 Millionen Einwohner zählenden Heimatland Norwegen soll er innerhalb von drei Jahren mehr als vierhundertfünzigtausend Exemplare seiner Trilogie verkauft haben. In 22 Sprachen ist sie übersetzt.

„Noch so ein Langweiler“ hat Dein Onkel gesagt, als er hörte, dass es um an die viertausend Seiten blanker bilderloser Druckerschwärze ohne besondere Handlung ginge und dass Vergleiche mit Proust gezogen wurden – eines zeitgenössischen Proust aus einer verlorenen Ecke Nordnorwegens allerdings, den es irgendwann nach Stockholm verschlagen hat, der seine Teebeutel im Supermarkt kauft und sich nur zu all zu oft vergeblich darum bemüht, simpel, nett und durchschnittlich zu sein. No sex, no crime, no plot.
Banaler Alltag zwischen Schreibpraxis, Einkaufen und Windelwechseln, Wut, Streit und Tränen, Versöhnung, Landschaften, Jahreszeiten, Kinderkriegen, Exkurse über Bücher, Filme, Popmusik, Museen, Norwegen, Schweden und ein Vatermonster.

„Min Kamp“ ist der provozierende Titel der norwegischen Originalausgabe.

Er habe irgendwann entdeckt, sagt Knausgaard, (der vor der „Min Kamp- Trilogie“ zwei in Norwegen erfolgreiche Romane publiziert hat) dass er Geschichten mit fiktiven Figuren und fiktiver Handlung satt habe, dass er selbst nur noch Essays und Tagebücher lese.
Und aus diesem seinem reality hunger ist eine Kreuzung aus Tagebuch, Autobiografie, Memoiren und Essay entstanden (und die literarische Sensation der Saison).
Literarische Genres, sagt Knausgaard, würden ihn wenig interessieren.
Die Form habe sich beim Schreiben von selbst ergeben.

Der nicht fiktive Held der nicht erfundenen Geschichte ist Karl Ove selbst. Und so wie der Held kein erfundener und kein unbedingt sympathischer ist, so sind auch alle Freunde und Familienmitglieder nicht erfunden, weder die toten, noch die lebenden. Jeder muss seinen eigenen Namen zu Markte tragen und keinem bleibt erspart, sich - in seine Widersprüche verstrickt - vorgeführt zu finden.

Aber es sind eben jene Widersprüche zwischen Ideal und Praxis, die die Lektüre so anziehend machen. Such is life ist das banale Fazit: das also ist das ganze Leben jenseits von Pathos und Ideologie. Schau hin. Alles ist schon da: Scham- und Schuldgefühl, Magie, Frust und Euphorie, Anfang und Ende. Als Schauplatz taugt jeder Supermarkt, jeder Wohnblock. Jeder Handgriff, auch der alltäglichste und banalste ist der Beschreibung wert. Jeder dreckige Schneerest im März ist ein Ereignis und jedes Minenspiel im Gesicht der anderen ein Mirakel.
Nichts davon ist gut oder schlecht. Es existiert einfach, mehr nicht.

Mir geht’s wie anderen. Ich kann nicht aufhören zu lesen.
Nix geht mehr ohne Karl Ove. Du wirst das Exemplar der Wahl (ich bin erst mitten im zweiten Band der englischen Uebersetzung) auf dem Schreibtisch, neben dem Bett, im Garten oder - obwohl Du mir kaum Zeit zum Lesen lassen wirst - in diversen Taschen und back packs vorfinden (gedacht für Zugfahrten, gedacht für Notfälle).

Vielleicht sagst Du später: was für ein Schrott. So was hat sich damals verkauft?

Aber lass mehr Zeit vergehn und nimm an, Karl Oves Trilogie hätte sich per Zufall in eines der folgenden Jahrhunderte gerettet. Kein Ethnologe hätte eine bessere Vorstellung davon geben können, wie sich’s in einem bestimmten europäischen Milieu eben hier, eben jetzt lebt.

Kein Grund, heroische Taten und heroische Zeiten herbei zu sehnen. Ist alles schon da.
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